Midnite – „be strong“

cdlp

hp-records

 

Einige Musikstile und -richtungen verlocken immer wieder zu Äußerungen wie „ist doch eh alles das Gleiche“. Wenn ich neben dem Blues den Reggae anführe, werden wohl einige heftig nicken. Doch geht das so pauschal?

Midnite - be strongFlashbacks

Eine meiner ersten Dub-Scheiben war Teil eines Doubles. „Marcus Garvey“ und „The Ghost of Marcus Garvey“, so die Titel, und Burning Spear war der Interpret. Mich interessierte eher die Dub-Platte, fand aber damals schon einiges an seiner Stimme symphatisch.

Jahre später bekam ich die Gelegenheit Burning Spear live zu sehen. Seiner Zeit gab es noch das PC69 in Bielefeld. Der Laden war gerammelt voll. Burning Spear hatten gerade eine größere Pause hinter sich. Von der Begleitband hatte ich eine feste Vorstellung, aber nicht von Burning Spear alias Winston Rodney. Zumal kein aktuelles Album promotet wurde. Obwohl, kann sein das es zur Zeit von „Live in Zenith“ war, 88, oder früher. Die Dramaturgie war von Beginn an klasse. Denn wie bei den Dub-Sets auf Vinyl hielt sich Rodney zurück, schickte zuerst die Band ins Rennen. Genial. Es folgte ein vielleicht eineinhalb Stunden Programm, bevor das Konzert endete. Dachten wir.

unitedreggae Interview mit Winston RodneyBis dahin hatte Winston im heißesten Saal alle Klamotten anbehalten, trug einen langen Trenchcoat und seine Rastamütze, und rührte sich nicht. Fast nicht. Er sang. Und das erste Mal in meinem Leben hörte ich einem Magier zu. Einem, der Wellen an Emotionen nur mittels seiner Stimme durch die Gemeinde wallen lassen kann. Wer „Jah No Dead“ aus dem Film „Rockers“ im Ohr hat, der ahnt wovon ich hier schreibe.

Entréeshp-kopf

Midnite in Chile 2009Und genau hier knüpfen die Gebrüder Ron und Vaughn Benjamin mit ihrem Projekt Midnite an. Das aktuelle Album „be strong“ bricht mit so vielen Vorstellungen von Reggae, und kommt zugleich dem Kern um so vieles näher.

Schon im Opener und Titeltrack „be strong“ trumpfen sie auf. Musikalisch rufen sie Wurzeln und Ziele gleichermaßen in Erinnerung, in dem sie traditionelle afrikanische Instrumente an den Anfang stellen, begleitet von einem Gesang der dem chanten im Trance ähnelt. Dafür zuständig ist Vaughn Benjamin.

„Dandylion“ über den Rausch der eigenen Eitelkeiten, entleerte Politik und Uferlosigkeit in Konsum und Handel. Die Wunderbaren Bläsersätze erinnern an die schwebenden Momente eines Miles Davis, tropfende Klavierläufe scheinen aus anderen Welten rüber zu schwappen, während alles von fast minimalistisch eingesetzten Congas angetrieben wird. Der Gesang lässt einen schwindelig werden, so atemlos liegt er über allem.

Midnite in Chile 2009 by Caja de Colores„Jah Know“ bringt die nächste Steigerung. Bedrohliche Drums (Zitate/Samples) werden vom bestimmt vorgetragenen Textzeilen verdrängt. Obwohl überall Bewegung zu sein scheint, ist trotzdem alles ungewohnt reduziert für heutige Verhältnisse. Vor allem wenn wir an den üblichen Pop-Reggea denken, der eher durch Bombast als durch Inhalte zu überzeugen weiß. Ein Hauch von EXUMA tönt durch den Raum.

Es ist einfach beeindruckend, wie selbstverständlich Midnite den Weg im Sinne des Roots-Reggae gehen. Trotz dieser Verbindlichkeit sind sie im hier und jetzt, wirken sogar seltsam visionär. Immer wieder fallen Instrumente auf, die man nicht erwarten würde. Etwa das Spiel einer Geige im Sound von Kansas oder The Flock. Irgendwie nicht hierher gehörend, und doch absolut passend.

Believers

hp-logoSo ließe sich der Faden fortspinnen, und wir stünden immer noch erst am Rande des Phänomens Midnite. Ich kannte nichts zuvor, und gelangte in ein riesiges Midnite Universum. Im Eigenvertrieb haben schon dutzende von Alben das Licht der Welt erblickt. Und die Fans haben etwas von einer Gemeinde, wie wir sie zu Beginn bei den Dead Heads sahen, und später bei den Tribalfreaks wieder fanden.

Wer wirklich eine Zeitreise zu den Roots des Reggae und weit darüber hinaus machen möchte, der muss sich dieses Album „be strong“ ins Haus holen. Aber Vorsicht! Ihr legt die Messlatte für die Zukunft damit von Beginn an recht hoch.

Allen anderen sei gesagt, ihr werdet vieles im Sound der Midnite wiederfinden. Seien es verschieden Stimmen, die sich in der von Vaughns vereinen, oder bestimmte Stile. Etwa manch Typisches, wie wir es eher von Lee Scratch Perry kennen. Und doch klingt nichts verstaubt, „bloß“ zitiert oder auch nur so dahin gespielt.

Bei mir hat es, bis auf Burning Spear, fast alles getoppt und verdrängt. Ob Rockers, U Roy oder die fantastischen Misty In Roots.

Großartig.